UZH schreibt ersten Lehrstuhl für Gendermedizin aus - warum ist das wichtig?

UZH schreibt ersten Lehrstuhl für Gendermedizin aus - warum ist das wichtig?

Bis August 2024 soll an der Universität Zürich (UZH) ein Lehrstuhl besetzt werden, welcher geschlechtsspezifische Unterschiede erforscht, die in der gesundheitlichen Versorgung berücksichtigt werden müssen.

Seit Jahren ist bekannt, dass verschiedene Geschlechter unterschiedliche Bedürfnisse in der gesundheitlichen Versorgung haben. Das hat sowohl biologische als auch psychosoziale, in der Gesellschaft verankerte, Gründe. Beispielsweise werden Herzinfarkte bei Frauen und Essstörungen bei Männern oft vergleichsweise spät diagnostiziert und behandelt, da sich diese Erkrankungen im jeweils «unerwarteten» Geschlecht anders äussern können und nicht direkt vermutet werden.

Auch auf Seiten des Fachpersonals zeigen sich Unterschiede: eine weibliche Ärztin diagnostiziert Herzinfarkte bei Frauen häufiger richtig, während männliche Kollegen die gleiche Risikosituation in Patientinnen oftmals verharmlosen.

 

Die Universität Zürich (UZH) geht nun einen wichtigen Schritt in die Zukunft der Patientenversorgung, indem sie bis August 2024 als erste Hochschule der Schweiz einen Lehrstuhl für Gendermedizin besetzt. Derzeit stellen Kandidatinnen für die Professur ihre Forschung vor. Über geplante Forschung jenseits der zwei traditionellen Geschlechter Mann/Frau wurde bisher nicht berichtet.

Das weltweit erste Institut für Gendermedizin wurde 2001 in New York gegründet. 2002 folgte das Karolinska-Institut in Stockholm und 2003 die Charité Berlin.

Die Gendermedizin befasst sich nicht nur mit dem biologischen Geschlecht («Sex»), sondern auch dem sozialen Geschlecht («Gender»).

Was ist Gendermedizin überhaupt?

Frauen und Männer haben klare biologische Unterschiede. Diese beschreibt das biologische Geschlecht («Sex»). Neben unterschiedlichen Geschlechtsmerkmalen sind Frauen meist kleiner, leichter und haben eine geringere Muskelmasse. Auch in Organen wie Leber und Darm gibt es Unterschiede: die weibliche Leber tut sich oft schwerer Medikamente zu verstoffwechseln und die Darmtätigkeit ist geringer. Dadurch kann es in Frauen schneller zu Überdosierungen kommen und es reichen bei vielen Medikamenten geringere Dosierungen aus.

Die verschiedenen Geschlechter sind aber auch unterschiedlichen psychosozialen Belastungen ausgesetzt. Um dieses soziale Geschlecht («Gender») geht es in der Gendermedizin auch. Gesellschaftliche Konventionen und Rollenerwartungen können einen deutlichen Einfluss auf die Gesundheit und Lebensweise einer Person haben. Pauschalisiert, haben Männer oft einen ungesünderen Lebensstil, trinken mehr Alkohol, rauchen häufiger und achten weniger auf eine gesunde Ernährung. Auch gesundheitsfördernde Massnahmen wie Vorsorgeuntersuchungen werden von Männern statistisch seltener angenommen.

In der Gendermedizin geht es darum diese biologischen und sozialen Unterschiede der Geschlechter zu erforschen und dadurch die medizinische Versorgung zu verbessern.

 

Unterschiede im Immunsystem

In der Immunologie sind Geschlechtsunterschiede schon lange bekannt. So sind Männer anfälliger für virale Infektionen, während Frauen häufiger an Autoimmunerkrankungen wie Schilddrüsenentzündungen (Hashimoto) oder Multipler Sklerose leiden und stärker auf Impfstoffe reagieren.

Man vermutet, dass das weibliche Immunsystem bis zur Menopause insgesamt aktiver ist, um die Kraft zu haben neues Leben zu schützen. Richtet sich dieses starke Immunsystem jedoch gegen den Wirt selbst, kommt es zu besonders ausgeprägten Autoimmunreaktionen, bei denen sich der Körper selbst angreift. Das männliche Immunsystem ist zwar in der Infektabwehr schwächer, richtet sich aber dafür im Falle einer Fehlregulation nicht so intensiv gegen sich selbst.

Durch ihr sehr aktives Immunsystem, reagieren Frauen oft auch stärker auf Impfungen. Dies kann mit Blick auf unerwünschte Impfreaktionen negativ sein, bedeutet aber auch, dass niedrigere Impfdosen ausreichen können und ein Impfschutz länger anhält.

Auch in der COVID-19 Pandemie sind Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu beobachten: bisher starben häufiger Männer an einer akuten COVID-19 Infektion, während besonders junge Frauen mit hohem Stresslevel ein erhöhtes Risiko haben an Long COVID zu erkranken. Das zeigt, wie wichtig es ist das Geschlecht in der klinischen Forschung, aber auch der Versorgung und frühen Intervention zu berücksichtigen.

 

Vater Mutter

Männer haben ein X- und ein Y-Chromosom, Frauen zwei X-Chromosomen. Das wirkt sich auf das Immunsystem aus.

 

Genetische und hormonelle Unterschiede

Viele hormonelle und immunologische Unterschiede lassen sich durch einen Blick auf die genetischen Unterschiede zwischen Männern und Frauen erklären. Männer haben nur ein X-Chromosom, Frauen zwei. Sie erben jeweils ein X-Chromosom von Mutter und Vater.

Viele Gene, die das Immunsystem regulieren liegen auf dem X-Chromosom. Dadurch, dass Frauen die X-Chromosomen beider Elternteile zur Verfügung stehen, haben sie ein grösseres Spektrum an Abwehrmechanismen.

Frauen produzieren auch mehr Östrogen als Männer und dafür weniger Testosteron. Östrogen stimuliert die Immunantwort und beeinflusst den Stoffwechsel. Dadurch entsteht unter anderem eine gewisse Schutzwirkung gegen Diabetes Typ 2. Wenn nach der Menopause der Östrogenspiegel sinkt, steigt entsprechend auch das Risiko für Stoffwechselkrankheiten.

 Früher wurden klinische Studien hauptsächlich an Männern durchgeführt.

Genderunterschiede in der klinischen Forschung

Angesichts der Tatsache, dass bereits so viele biologische und psychosoziale Unterschiede bekannt sind, wundert es, dass bisher ein Grossteil der medizinischen Forschung an Männern und männlichen Versuchstieren durchgeführt wurde. Dies hat historische, finanzielle, aber auch biologische Gründe.

Weibliche Versuchstiere sind teurer und historisch galten Frauen als das «schwache Geschlecht» dem keine klinischen Studien zugemutet wurden. Aus Forscherperspektive lässt sich zusätzlich durch eine rein männliche Kohorte vermeiden, dass Studien durch Hormonschwankungen im weiblichen Zyklus, der Menopause oder hormonelle Verhütung gestört werden. Zudem ist es ethisch schwierig, Frauen mit Kinderwunsch in Studien einzuschliessen, bevor die Embryotoxizität (mögliche schwere Folgen für das sich entwickelnde Kind) abschliessend geklärt wurde.  Daher wurden in der Vergangenheit Medikamente und Therapien hauptsächlich an jungen Männern erforscht.

Erst seit 1994 müssen laut einer US-Verordnung Medikamente in klinischen Studien überhaupt an Frauen getestet werden. Seit Januar 2022 müssen Firmen in der EU klinische Forschungen mit repräsentativer Alters- und Geschlechtsverteilung durchführen. Dies bedeutet, dass Medikamente für Krankheiten, die besonders häufig in einem Geschlecht auftreten auch bevorzugt in diesem Geschlecht getestet werden sollen. Zusätzlich soll bei Frauen darauf geachtet werden, ob eine Krankheit gehäuft vor oder nach der Menopause auftritt und die Studie entsprechend angepasst werden.

Das Problem der Unterrepräsentation von Frauen in der klinischen Forschung wurde demnach erkannt und es werden Schritte in die richtige Richtung unternommen. Wir freuen uns daher besonders, dass auch die UZH Bemühungen anstrebt diese Situation zu verbessern und verfolgen gespannt die Kandidatenauswahl.

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